Bei der Überwachung von COVID-19 Ausbrüchen müssen in der Regel schwierige Kompromisse eingegangen werden. Einzelne Personen zu testen ist kostspielig und logistisch sehr aufwendig: Aufgrund begrenzter Laborausrüstung und medizinischer Einrichtungen ist es fast unmöglich, die gesamte Bevölkerung eines Landes zu testen.
Eine preiswertere und logistisch einfachere Methode liegt dagegen in der Analyse von Abwasser. Da COVID-19 und andere Viren in menschlichen Exkrementen nachgewiesen werden können, enthalten Kläranlagen aussagekräftige Informationen über vergangene und bevorstehende Ausbrüche.
Momentan ist die Analyse von Abwasser jedoch deutlich langsamer als individuelle Tests. Gleichzeitig sind diese Analysen auch ungenauer, da es sehr schwierig ist, die von einem Ausbruch betroffene Umgebung, nur über Messungen in Kläranlagen, exakt zu ermitteln.
Wir verfügen allerdings bereits über nahezu alle Technologie, um Abwasser-Monitoring wesentlich schneller und genauer zu gestalten. Wir könnten Ausbrüche von COVID-19 (und anderen Viren) besser messen und entsprechend schneller und gezielter reagieren, indem wir:
- Offene Standards einführen;
- Miniaturisierte Ausrüstung entwickeln; und
- Interoperable Datenplattformen aufsetzen.
Vor kurzem haben wir eine fünfteilige Lösung vorgestellt, die zum Monitoring von COVID-19 in einem Land, auf einem kompletten Kontinent - oder sogar weltweit - eingesetzt werden könnte. Da wir überzeugt sind, dass zahlreiche Personen, Länder und Organisationen von diesen Empfehlungen profitieren könnten, hier eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte.
Wie Abwasser-Monitoring funktioniert
Abwassersysteme funktionieren weltweit ähnlich. Das Wasser wird von einzelnen Haushalten in ein größeres, zentralisiertes Rohrsystem geleitet. Von dort fließt das Abwasser zu zentralen Wasseraufbereitungsanlagen.
Ein Virus kann häufig in den Fäkalien einer infizierten Person nachgewiesen werden. Daher kann man anhand der Virenkonzentration, die in einer bestimmten Wasseraufbereitungsanlage festgestellt wurde, die Zahl der infizierten Menschen in dem von der Anlage abgedeckten Gebiet abschätzen.
Es dauert jedoch mehrere Tage oder Wochen, bis das Abwasser eine zentrale Kläranlage erreicht, da es auf dem Weg dorthin mehrere Zwischenreinigungsschritte durchläuft. Analysen von Abwasser in Kläranlagen geben also oft Hinweise darauf, dass ein Ausbruch stattgefunden hat und wie groß er ungefähr war; Man weiss jedoch nicht genau, wo und wann er genau aufgetreten ist. Experten sprechen hier von geringer räumlicher und zeitlicher Auflösung.
Aus diesem Grund wird die Überwachung des Abwassers als potenzielle Methode zur Ermittlung von Virusausbrüchen oft nicht berücksichtigt.
Es wären also recht aufwändige Maßnahmen erforderlich, um die gängigen Techniken im Abwasser-Monitoring zu verbessern. Doch angesichts des immensen Vorteils, den eine schnelle Lokalisierung neuer Virenausbrüche mit sich bringt, und gemessen an Aufwand und Kosten individueller Tests, ist ein solches System in den meisten Ländern sinnvoll.
Unsere Lösung zur Verbesserung des Abwasser-Monitoring in 5 Schritten
Die von uns vorgeschlagene Lösung zur Verbesserung und Skalierung der Abwasserüberwachung umfasst folgende Punkte:
- Standardisierte Leitfäden für die Einrichtung von Kontrollgeräten und die Probengewinnung: Um vergleichbare Daten zu erhalten, müssen sich alle Beteiligten an vorher festgelegte Leitfäden halten.
- Referenzmethoden zur Probenaufbereitung und Virusquantifizierung: Zusätzlich zu standardisierten Leitfäden bezüglich der Kontrollgeräte muss festgelegt werden, wie Proben im Labor aufbereitet und wie die Viruskonzentration im Abwasser gemessen werden soll.
- Miniaturisierte Ausrüstung: Um Abwasser möglichst nahe am Ursprungsort messen zu können, sind verkleinerte Versionen einzelner Überwachungsgeräte erforderlich.
- Interoperable Datenplattformen zur gemeinsamen Datennutzung über Städte und Länder hinweg.
- Vorhersagen mit Machine Learning: Mit diesen Vorhersagen wäre man in der Lage, neue Virenausbrüche rechtzeitig zu erkennen und entsprechende Maßnahmen frühzeitig zu veranlassen.
Einige dieser Punkte sind bereits vorhanden oder werden aktuell entwickelt. Wir haben jeden dieser fünf Schritte im Detail geprüft und möchten aufzeigen, wo wir aktuell stehen und wo wir zukünftig stehen könnten (in 3-24 Monaten).
Lösung 1: Leitfäden für die Überwachung
Um später mit einheitlichen Datensätzen arbeiten zu können, sollten bereits für die Probenentnahme Richtlinien festgelegt werden.
Wo wir stehen:
- Abwasser-Monitoring wird bereits eingesetzt, um Ausbrüche im Nachhinein zu untersuchen. Dies geschieht in verschiedenen Städten auf unterschiedliche Weise, wobei viele Arbeitsschritte manuell durchgeführt werden. So gibt es beispielsweise zwei verschiedene Methoden der Abwasserprobenahme:
- Einzelproben: Einzelne Proben werden zu einem bestimmten Zeitpunkt entnommen;
- Sammelproben: Proben werden über einen Zeitraum von 24 Stunden gesammelt und kombiniert.
- Die heutigen Verfahren erfordern meist hochqualifizierte Experten vor Ort.
- Es kann mehrere Wochen dauern, bis man brauchbare Ergebnisse erhält. Außerdem sind die erfassten Daten nicht immer zwischen den einzelnen Kläranlagen vergleichbar.
Wo wir stehen könnten:
- Mit verbesserten Überwachungsgeräten und -verfahren könnte das Abwasser kontinuierlich analysiert werden, um bevorstehende Ausbrüche frühzeitig zu erkennen.
- Indem so viele Schritte wie möglich automatisiert, Ausrüstungen und Protokolle standardisiert und die Konsistenz über Messanlagen und Städte hinweg sichergestellt werden, könnten die Kosten gesenkt und die Qualität der Überwachung verbessert werden.
Lösung 2: Referenzmethoden zur Probenaufbereitung und Virusquantifizierung
Referenzproben und -protokolle für Labore würden sicherstellen, dass Proben auf standardisierte Weise aufbereitet und untersucht werden.
Wo wir stehen:
- Wir wissen, dass bestimmte Viren - einschließlich SARS und SARS-CoV-2 - im Abwasser nachgewiesen werden können. Es gibt jedoch unterschiedliche Methoden, um Proben zu entnehmen und die Virenkonzentration zu messen.
- Es ist nicht immer eindeutig, welche Werte sich im Normalbereich bewegen.
- Proben können auf unterschiedliche Weise aufbereitet werden, was die Ergebnisse beeinflusst und den Vergleich der Daten zwischen den Laboren erschwert.
Wo wir stehen könnten:
- Durch standardisierte Protokolle für die Probenaufbereitung und Virenquantifizierung sowie den Einsatz von Referenzproben könnten verschiedene Labore in verschiedenen Ländern Daten austauschen und vergleichen. Diese Standardisierung würde eine schnellere und genauere Analyse ermöglichen - zwei wichtige Faktoren, insbesondere für ein Frühwarnsystem.
Lösung 3: Miniaturisierte Ausrüstung zum Sammeln und Standardisieren von Fäkalproben.
Kleinere Versionen der Geräte, die für den Einsatz in großen Kläranlagen konzipiert sind, könnten dabei helfen, Ausbrüche genauer und kosteneffizienter zu lokalisieren.
Wo wir stehen:
- Kläranlagen messen aktuell gemittelte Werte aus ihrem gesamten Einzugsgebiet. Da die meisten Geräte auf große Kläranlagen ausgelegt sind, können nicht einfach die gleichen Messungen in kleineren Gebieten durchgeführt werden.
- Das bedeutet, dass ein Ausbruch in einem kleinen Teil eines bestimmten Einzugsgebietes durch den Durchschnitt des gesamten Gebietes ausgeglichen werden könnte. Dadurch wird der Ausbruch unter Umständen übersehen.
Wo wir stehen könnten:
- Die Entwicklung miniaturisierter Probenahmegeräte würde ermöglichen, detailliertere Messungen durchzuführen.
- Detailliertere Messungen können exaktere Auskunft darüber geben, wo genau ein Ausbruch aufgetreten ist - bis hin zu einem Stadtbezirk oder sogar einzelnen Gebäuden.
- Indem nicht darauf gewartet werden muss, bis das Abwasser in eine zentrale Anlage gelangt, können die Messungen frühzeitig durchgeführt werden. Durch frühzeitige Messung entsteht eine höhere räumliche und zeitliche Auflösung, die es ermöglicht, Ausbrüche frühzeitig einzudämmen oder gar gänzlich zu verhindern.
Lösung 4: Entwicklung einer interoperablen Plattform zur Integration von Umwelt- und Gesundheitsdaten
Eine einzige Datenplattform, die Ämter- und Stadtübergreifend genutzt wird, würde die Kommunikation erheblich erleichtern.
Wo wir stehen:
- Viele Ämter und Länder tauschen ihre Daten bereits untereinander aus. Das erleichtert die internationale Zusammenarbeit und ermöglicht auch der Öffentlichkeit direkt auch aktuelle Informationen zuzugreifen.
- Gesundheits- und Wasserwirtschaftsämter arbeiten nicht immer effektiv zusammen. Es ist außerdem oft schwierig, Erkenntnisse aus der Abwasserwirtschaft direkt in gesundheitsbezogene Entscheidungen umzuwandeln.
- Internationaler Datenaustausch gestaltet sich nach wie vor schwierig.
Wo wir stehen könnten:
- Eine interoperable Datenplattformen zur Kombination von Informationen aus der Wasserwirtschaft (z.B. ein Anstieg der Viruskonzentration) und dem Gesundheitswesen (z.B. Infektions- und Krankenhausaufenthaltsraten) würden dabei helfen, effektivere Entscheidungen zu treffen.
- Wenn mehrere Städte die gleiche Plattform nutzen, können Ausbrüche leichter vorhergesagt und erkannt werden.
- Wissenschaftler, Software Entwickler, Politiker und Entscheidungsträger könnten alle ihre Daten von einer zuverlässigen, zentralen Quelle beziehen.
Lösung 5: Vorhersagen mit Machine Learning
Mit Hilfe von Machine Learning können wir automatisierte Vorhersagen darüber treffen, wann und wo Ausbrüche auftreten werden.
Wo wir stehen:
- Abwasser-Monitoring ist derzeit zu langsam, um für ein Frühwarnsystem nützlich zu sein.
- Selbst wenn alle oben genannten Lösungen umgesetzt würden, braucht es immer noch Zeit, um die benötigten Proben und Daten zu sammeln und zu analysieren.
- Aktuell werden diese Daten hauptsächlich für retrospektive Analysen verwendet.
Wo wir stehen könnten:
- Durch den Einsatz von Machine Learning könnten wir ungewöhnliche Muster im Abwasser entdecken, die auf einen Ausbruch hinweisen - noch bevor die ersten Patienten Symptome merken.
- Machine Learning kann außerdem dafür eingesetzt werden, diejenigen Faktoren zu korrigieren, die die Messungen verzerren. So sind z.B. die Tageszeit, der Wochentag oder sogar das Wetter alles Faktoren, die die Anzahl an Menschen in einem Einzugsgebiet zu einem bestimmten Zeitpunkt beeinflussen.
- Metagenomische Analysen könnten auch dabei helfen neue Viren aufzuspüren. Damit kann nach neuer viraler DNA gesucht werden, die zuvor noch nicht im Abwasser nachgewiesen wurde. Diese DNA kann dann bekannten Viren zugeordnet werden, um potenziell gefährliche Ausbrüche neuer Mutationen zu identifizieren.
Beispiele für erfolgversprechende Projekte im Abwasser-Monitoring
- Frankreich und die Niederlande nehmen in Europa eine Vorreiterrolle ein. Im April 2020 wurden in Frankreich bereits die ersten Ergebnisse aus Abwasserdaten veröffentlicht, und die Niederlande haben die Überwachung ab August 2020 auf nationaler Ebene ausgeweitet.
- In den Niederlanden entnimmt das RIVM wöchentlich Proben von über 300 Kläranlagen und macht die gewonnenen Daten über ein Online-Dashboard öffentlich zugänglich.
- Auch in Deutschland sind bereits die ersten Projekte gestartet: In Aachen und Frankfurt am Main haben Wissenschaftler ebenfalls erste Ergebnisse über die Überwachung von Corona-Ausbrüchen über Abwasser veröffentlicht.
- Die EU hat angekündigt, dass ein EU-weites Projekt realisierbar sei.
Abwasser-Monitoring in deiner Stadt?
Falls du dich mit dem Thema Wassermanagement oder der Vorhersage viraler Ausbrüche beschäftigst und dich über den Einsatz der vorgestellten Techniken in deiner Region austauschen möchtest, melde dich gerne bei uns. Solltest du dich als Bewohner für dieses Thema in deiner Region interessieren, leite den Artikel gerne an die jeweilig zuständigen Behörden und Vertreter weiter.