Machine Learning hat große Fortschritte in der Pharma- und Biotech-Effizienz gemacht. Dieser Beitrag fasst die Top 4 Anwendungen von KI in der Medizin heute zusammen:
1. Krankheiten diagnostizieren
Die richtige Diagnose von Krankheiten erfordert jahrelange medizinische Ausbildung. Doch selbst dann ist die Diagnose oft noch ein mühsamer und zeitraubender Prozess. In vielen Bereichen übersteigt die Nachfrage nach Experten das verfügbare Angebot bei weitem. Das erhöht wiederum den Druck auf Ärzte und verzögert nicht selten die lebensrettende Patientendiagnostik.
Machine Learning - insbesondere Deep-Learning-Algorithmen - haben in letzter Zeit große Fortschritte bei der automatischen Diagnose von Krankheiten gemacht, wodurch die Diagnostik preiswerter und leichter zugänglich wird.
Wie Maschinen lernen, eine Diagnose zu stellen
Machine Learning-Algorithmen können lernen, Muster ähnlich wie Ärzte zu sehen. Ein wesentlicher Unterschied besteht aber darin, dass Algorithmen tausende konkreter Beispiele brauchen, um lernen zu können. Und diese Beispiele müssen säuberlich digitalisiert werden - Maschinen können nämlich nicht in Textbüchern zwischen den Zeilen lesen.
Daher ist Machine Learning besonders dort hilfreich, wo die vom Arzt untersuchten diagnostischen Informationen schon digitalisiert sind.
Zum Beispiel:
- Erkennung von Lungenkrebs oder Schlaganfällen auf der Basis von CT-Scans
- Beurteilung des Risikos eines plötzlichen Herztodes oder anderer Herzerkrankungen anhand von Elektrokardiogrammen und Herz-MRT-Aufnahmen
- Klassifizierung von Hautläsionen in Hautbildern
- Finden von Indikatoren für diabetische Retinopathie in Augenbildern
Da es in diesen Fällen eine große Anzahl guter Daten gibt, können Algorithmen in der Diagnostik genauso gute Ergebnisse erzielen wie die Experten. Der Unterschied ist: Der Algorithmus kann im Bruchteil einer Sekunde Ergebnisse liefern und er kann überall auf der Welt kostengünstig eingesetzt werden. Schon bald könnte jeder, egal wo, auf dieselbe Qualität von Top-Experten in der Radiologie-Diagnostik zugreifen, und das zu einem niedrigen Preis.
Bald gibt es noch weiter fortgeschrittene KI-Diagnostik
Die Anwendung von Machine Learning in der Diagnostik steht erst am Anfang - anspruchsvollere Systeme beinhalten die Kombination mehrerer Datenquellen (CT, MRT, Genomik und Proteomik, Patientendaten und sogar handschriftliche Dateien) bei der Beurteilung einer Krankheit oder deren Verlaufs.
AI wird in absehbarer Zeit keine Ärzte ersetzen
Es ist unwahrscheinlich, dass KI Ärzte ersetzen wird. Stattdessen werden KI-Systeme verwendet, um z.B. potenziell bösartige Läsionen oder gefährliche Herzmuster für den Experten zu markieren - sodass sich der Arzt auf die Interpretation dieser Signale konzentrieren kann.
2. Medikamente schneller entwickeln
Die Entwicklung von Medikamenten ist ein notorisch teures Unterfangen. Viele der analytischen Vorgänge in der Arzneimittelentwicklung können mit Machine Learning effizienter gestaltet werden. Dies bietet die Möglichkeit, jahrelange Arbeit und hunderte von Millionen an Investitionen einzusparen.
KI wurde bereits bei allen 4 wichtigen Stufen der Arzneimittelentwicklung erfolgreich eingesetzt:
- Stufe 1: Identifizierung von Interventionszielen
- Stufe 2: Das Finden von geeigneten Kandidaten für Medikamente
- Stufe 3: Beschleunigung klinischer Studien
- Stufe 4: Das Finden von Biomarkern für die Diagnose der Krankheit
Stufe 1: Identifizierung von Interventionszielen
Der erste Schritt in der Medikamentenentwicklung ist das Verständnis des biologischen Ursprungs einer Krankheit (Pathways) sowie ihrer Resistenzmechanismen. Anschließend geht es darum, gute Targets (in der Regel Proteine) für die Behandlung der Krankheit zu identifizieren. Die weit verbreitete Verfügbarkeit von high-throughput Verfahren, wie z.B. Short Hairpin RNA (shRNA) Screening und Deep Sequencing, hat die verfügbare Datenmenge zum Finden brauchbarer Targets stark erhöht. Bei traditionellen Techniken besteht jedoch immer noch das Problem, dass man die hohe Anzahl und die Vielfalt der Datenquellen integrieren muss, um dann die relevanten Muster zu identifizieren.
Machine Learning-Algorithmen haben weniger Mühe, alle verfügbaren Daten zu analysieren, und sie können sogar lernen, gute Zielproteine automatisch zu identifizieren.
Stufe 2: Das Finden von geeigneten Kandidaten für Medikamente
Als nächstes muss man eine Verbindung finden, die mit dem identifizierten Zielmolekül in der gewünschten Weise interagieren kann. Dafür muss eine große Anzahl - oft mehrere Tausend oder sogar Millionen - potenzieller Verbindungen auf ihre Wirkung auf das Ziel (Affinität) hin untersucht werden, ganz zu schweigen von den unerwünschten Nebenwirkungen (Toxizität). Diese Verbindungen können natürlicher, künstlicher oder biotechnologisch hergestellter Art sein.
Allerdings ist heutige Software oft ungenau und produziert viele schlechte Vorschläge (False Positives). Daher dauert es sehr lange, die Möglichkeiten auf die besten Kandidaten für Medikamente (so genannte Leads) einzugrenzen.
Auch hier können Machine Learning-Algorithmen helfen: Sie können lernen, die Eignung eines Moleküls anhand von strukturellen Fingerabdrücken und molekularen Deskriptoren vorherzusagen. Anschließend durchleuchten sie Millionen potenzieller Moleküle und filtern sie, bis sie die besten Optionen gefunden haben, die zugleich auch weniger Nebenwirkungen erwarten lassen. Das spart viel Zeit bei der Entwicklung von Medikamenten.
Stufe 3: Beschleunigung klinischer Studien
Es ist sehr schwer, geeignete Testpersonen für klinische Studien zu finden. Wählt man die falschen Testpersonen, verlängert sich der ganze Prozess - das nimmt viel Zeit und Ressourcen in Anspruch.
Machine Learning kann das Design klinischer Studien beschleunigen, indem es automatisch geeignete Testpersonen identifiziert und die korrekte Verteilung auf Gruppen von Studienteilnehmern sicherstellt. Algorithmen können helfen, Muster zu erkennen, die geeignete von ungeeigneten Testpersonen unterscheiden. Sie können auch als Frühwarnsystem für eine klinische Studie dienen, die keine aussagekräftigen Ergebnisse liefert - so können die Forscher früher eingreifen und möglicherweise die Entwicklung des Medikaments doch noch möglich machen.
Stufe 4: Das Finden von Biomarkern für die Diagnose der Krankheit
Erst wenn man sich seiner Diagnose sicher ist, kann man Patienten adäquat behandeln. Manche Diagnosemethoden sind sehr kostspielig und erfordern komplizierte Laborgeräte sowie Expertenwissen - wie z.B. Gensequenzierung.
Biomarker sind Moleküle in Körperflüssigkeiten (in der Regel im menschlichen Blut), die absolute Sicherheit darüber bieten, ob ein Patient eine Krankheit hat oder nicht. Sie machen den Prozess der Diagnose einer Krankheit sicher und kostengünstig.
Man kann sie auch dazu verwenden, den Fortschritt einer Erkrankung zu bestimmen - dies erleichtert es den Ärzten, die richtige Behandlung zu wählen und die Wirkung des Medikaments zu überwachen.
Doch es ist schwierig, geeignete Biomarker für eine bestimmte Krankheit zu finden. Ein weiterer teurer, zeitaufwändiger Prozess, bei dem Zehntausende potenzieller Molekülkandidaten untersucht werden müssen.
KI kann einen großen Teil der manuellen Arbeit automatisieren und den Prozess insgesamt beschleunigen. Die Algorithmen klassifizieren Moleküle in geeignete und ungeeignete Kandidaten - das wiederum hilft den Forschern sich auf die Analyse der besten Kandidaten zu konzentrieren.
Biomarker können in folgenden Fällen verwendet werden:
- Eine Krankheit zuverlässig und günstig identifizieren - diagnostischer Biomarker
- Patient finden die das Risiko haben eine Krankheit zu entwickeln - Risikobiomarker
- Den wahrscheinlichen Verlauf einer Krankheit vorhersagen - prognostischer Biomarker
- Feststellen ob ein Patient auf ein Medikament ansprechen wird - prediktiver Biomarker
3. Behandlung personalisieren
Verschiedene Patienten reagieren auf Medikamente und Behandlungspläne unterschiedlich. Eine personalisierte Behandlung hat also ein großes Potenzial, die Lebenserwartung von Patienten zu erhöhen. Aber es ist sehr schwer herauszufinden, welche Faktoren die Wahl der Behandlung beeinflussen sollten.
Machine Learning kann diese komplizierte statistische Arbeit automatisieren - und dabei helfen herauszufinden, welche Merkmale darauf hindeuten, dass ein Patient auf eine bestimmte Behandlung anspricht.
Das System lernt dies, indem es die Daten ähnlicher Patienten miteinander abgleicht und ihre Behandlungen und Ergebnisse vergleicht. Die sich daraus ergebenden Ergebnisprognosen erleichtern es den Ärzten, den richtigen Behandlungsplan zu entwerfen.
4. Verbesserung der Genbearbeitung
Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats (CRISPR), speziell das CRISPR-Cas9 System zur Genom-Editierung, ist ein großer Fortschritt in unserer Fähigkeit, DNA kosteneffizient und präzise wie ein Chirurg zu editieren.
Diese Technik beruht auf so genannten short guide RNAs (sgRNAs), um eine bestimmte Stelle auf der DNA auszuwählen und zu editieren. Aber die guide-RNA kann zu mehreren DNA-Positionen passen - und das kann zu unbeabsichtigten Nebenwirkungen (off-target effects) führen. Die sorgfältige Auswahl der guide-RNA mit den am wenigsten gefährlichen Nebenwirkungen ist ein der wichtigsten Engpässe bei der Anwendung des CRISPR-Systems.
Machine Learning Modelle liefern nachweislich die besten Ergebnisse, wenn es darum geht, für eine bestimmte sgRNA das Ausmaß sowohl der guide-target-Interaktionen als auch der off-target-Effekte vorherzusagen. Dies kann die Entwicklung von guide RNAs für jeden Abschnitt der menschlichen DNA erheblich beschleunigen.
Zusammenfassung
KI hilft uns bereits heute, Krankheiten effizienter zu diagnostizieren, Medikamente zu entwickeln, Behandlungen zu personalisieren und sogar Gene zu editieren.
Aber das ist nur der Anfang. Je mehr wir unsere medizinischen Daten digitalisieren und vereinheitlichen, desto mehr können wir KI dazu nutzen, relevante Muster zu finden - Muster, mit denen wir in komplexen Analyseprozessen präzise und kostengünstige Entscheidungen treffen können.